VON INGA GOSTMANN UND LEA HILDERMEIER (BIELEFELD)
Dieser Beitrag erscheint im Rahmen des Themenschwerpunkts „Künstliche Intelligenz in der philosophischen Hochschullehre“. Er ist die Fortsetzung des Beitrags vom 29.9.2025.
Künstliche Intelligenz betrifft längst nicht mehr nur Informatik und Technik. Inzwischen ist sie in nahezu allen Studiengängen präsent; sei es in Prüfungsformaten, in der Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen oder in der grundlegenden Frage, wie wissenschaftliches Arbeiten in Gegenwart von KI gedacht werden kann. Besonders im geisteswissenschaftlichen Studium, in dem Schreiben eine zentrale Rolle einnimmt, stellt sich vermehrt die Frage, warum Studierende überhaupt noch Hausarbeiten verfassen sollen, wenn KI in Sekundenschnelle ganze Texte generieren kann. Um zu erörtern, wie in geisteswissenschaftlichen Studiengängen mit KI beim Schreiben umgegangen werden kann, muss also zunächst die Rolle des Schreibens und des Schreiben-Lernens in diesen Studiengängen verstanden werden.
Wir – zwei Student*innen aus geisteswissenschaftlichen und schreibintensiven Studiengängen – wollen reflektieren, welche Rolle wissenschaftliches Schreiben im Studium im KI-Zeitalter spielt, welche Herausforderungen Studierende erleben und warum es sich trotz KI lohnt, Hausarbeiten zu schreiben, aber auch kritisch über deren Form, Ziel und Wirkung nachzudenken. In diesem zweiten Teil des Textes geht es vor allem um konkrete Vorschläge dafür, wie Studierende darin bestärkt werden können, eine Haltung zu entwickeln, die selbstständiges Schreiben fördert und zugleich einen kritischen, verantwortungsvollen Umgang mit KI ermöglicht.
KI als Gegenstand geisteswissenschaftlicher Kritik
Die Geisteswissenschaften ermöglichen es, KI nicht nur als Werkzeug zu begreifen, sondern auch als Gegenstand kritischer Analyse: es geht nicht nur darum, Texte mit KI zu verfassen, sondern sich auch mit ihrer Nutzung und ihren Implikationen auseinanderzusetzen. Demnach wirft der Einsatz von KI in der Hochschullehre und dem wissenschaftlichen Schreiben nicht nur methodische Fragen auf. Er berührt zentrale ethische und politische Themen, die im geisteswissenschaftlichen Diskurs verortet sind: von Machtverhältnissen bis zu Fragen der Repräsentation. Geisteswissenschaftliche Perspektiven können zur Kritik an KI genutzt werden und beim Entwickeln einer kritischen Haltung bei Schreibprozessen mit KI unterstützen.
Ein möglicher Zugang ist die feministische Technologiekritik und das Verständnis dafür, dass KI niemals neutral ist, sondern gesellschaftliche Machtverhältnisse widerspiegelt und reproduziert (vgl. Crawford, 2021, S. 8; Haraway, 1991). Eine intersektionale Perspektive auf KI kann helfen, strukturelle Machtasymmetrien sichtbar zu machen, etwa indem hinterfragt wird, wer KI-Systeme trainiert und unter welchen Arbeitsbedingungen dies geschieht oder welche Narrative, Normvorstellungen und Körper generative KI-Systeme hervorbringen und damit fortschreiben.
Zum anderen lässt sich KI auch als politisches Machtinstrument verstehen. Die Logik von KI-Systemen, die Dinge – und auch Menschen, indem sie sie in Kategorien und Hierarchien einordnet – nach Wahrscheinlichkeiten sortiert, ist mit menschenverachtenden, antidemokratischen und faschistischen Haltungen nicht nur kompatibel, sondern kommt ihnen auch entgegen (Menhard, 2025; re:publica, 2025). Durch diese beiden Perspektiven wird deutlich, dass KI nicht neutral ist und dementsprechend auch nicht als neutrales Tool im Schreibprozess verwendet werden kann, sondern kritische Reflexion erfordert.
Eine weitere kritische Perspektive besteht darin, KI gezielt zu hinterfragen und kritisch zu beurteilen, ähnlich wie wir durch Routine und Kontinuität einen (Denk-)Muskel trainieren. So bauen wir die Fähigkeit auf, in entscheidenden Momenten Biases erkennen zu können. Geisteswissenschaftler*innen lernen im Studium, Traditionen, Gewohnheiten und Normen kritisch zu hinterfragen und auf implizite Annahmen zu untersuchen. Sie lernen eigene kritische Argumentation zu entwickeln und die anderer zu verstehen und zu interpretieren. Geisteswissenschaftler*innen sollten Texte auch dann verfassen können, wenn KI-Systeme einmal nicht verfügbar sind. Sie müssen KI-Outputs beurteilen und eine reflektierte Haltung dazu entwickeln. Diese Fähigkeiten bleiben unverzichtbar, unabhängig davon, wie leistungsfähig und zuverlässig KI wird, denn nur so lassen sich ihre Ergebnisse überprüfen und Fehler erkennen.
Diese kritischen Perspektiven lassen sich didaktisch nutzen: etwa indem KI-Outputs im Seminar analysiert, mit eigenen Texten verglichen oder zur Diskussion ethischer Dilemmata herangezogen werden. So wird KI nicht nur als Hilfsmittel, sondern als Anlass für Reflexion verstanden. Studierende üben dabei, KI kritisch zu hinterfragen und eine eigene Haltung zu entwickeln, mit dem Ziel, bewusste Entscheidungen über die Tools und deren Einsatz zu treffen.
Was Studierende brauchen, um reflektiert mit KI zu schreiben
Welches Umfeld und welche Formate helfen Studierenden über die vorgeschlagenen Inhalte hinaus, eine kritische Haltung zu entwickeln? Besonders hilfreich sind aus unserer Erfahrung Formate, die den Schreibprozess selbst in den Mittelpunkt stellen: unbenotete Übungen, enge Begleitung bei ersten Hausarbeiten und Feedbackschleifen. Sie eröffnen Räume, in denen eigene Fragestellungen entwickelt, Unsicherheiten ausgehalten und neue Perspektiven erprobt werden können, kurzum: erkenntnisreiche Arbeiten geschrieben werden können. Studierende lernen so nicht nur, wie ein Text formal korrekt aufgebaut wird, sondern auch, warum bestimmte Konventionen bestehen und wie man sich über das Schreiben in wissenschaftliche Diskurse einbringt. Formate wie Schreibjournale, Lerntagebücher oder KI-Dialogprotokolle – also Mitschriften zu Prompts und den darauffolgenden Outputs – fördern die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Lern- und Schreibprozess sowie mit der Nutzung von KI. Peer-Feedback eröffnet zusätzlich Räume für Austausch auf Augenhöhe und unterstützt dabei, einen eigenen Stil und eine forschende Haltung zu entwickeln.
Auch der gezielte Einsatz von Tools kann zum Erkenntnisprozess beitragen, etwa durch das so genannte sokratische Prompting, das nicht vorschnelle Antworten liefert, sondern Denkanstöße gibt. Beim sokratischen Prompting wird der KI der Befehl gegeben, als Output nur Fragen zu liefern, die Nutzer*innen dazu anregen, selbstständig zu reflektieren und eigene Antworten zu entwickeln. KI-Outputs lassen sich zudem selbst zum Analyseobjekt machen, etwa wenn eigene Deutungen literarischer Texte mit von KI generierten Interpretationen verglichen werden, eine Möglichkeit, die sich unserer Erfahrung nach besonders gut in die diskussionsorientierten Seminarsitzungen geisteswissenschaftlicher Studiengänge integrieren lässt. So entsteht ein doppelter Lernprozess: inhaltlich im jeweiligen Fachkontext und zugleich im kritischen Umgang mit KI.
Grundsätzlich geht es aber nicht um ein Ja oder Nein zur Technologie, sondern um die Befähigung zu informierter Urteilsbildung. Diese Haltung des Fragens und Erforschens kann nicht verordnet, aber sehr wohl ermöglicht werden: Studierende können angeregt und dabei unterstützt werden, auch über ihr Studium hinaus, eine kritische Haltung zu entwickeln.
Zwischen Maschine und Mensch: Schreiben als kritische Praxis
Die Wichtigkeit einer kritischen Haltung zu KI zeigt: Schreiben im KI-Zeitalter ist alles andere als überholt. Geisteswissenschaftliches Schreiben ist, wie viele kritische Praxen, wichtiger denn je und wir sollten insbesondere das Schreiben nicht der KI überlassen. Genau deshalb braucht es ein Bildungsverständnis, das wissenschaftliches Schreiben als politische und diskursive Praxis ernst nimmt. Die rasanten Entwicklungen rund um KI in der Hochschulbildung verdeutlichen, dass Künstliche Intelligenz ein Beispiel für unvorhersehbare Transformationen ist und bleiben wird. Studierende – und auch Lehrende – müssen lernen, mit KI zu arbeiten und ihr zugleich kritisch zu begegnen. Zu verstehen, wie Texte entstehen, wie Denken darin sichtbar wird und wie die eigene Stimme darin Ausdruck finden kann, gehört zum Kern geisteswissenschaftlicher Bildung. In diesem Spannungsfeld bewegen sich Studierende und Lehrende. Am besten gelingt der Umgang mit KI gemeinsam, mit einer Haltung des Forschens, Fragens und gemeinsamen Lernens. Schreiben im Studium sollte nicht nur als Nachweis von Leistung gelten, sondern als Einladung zum Denken mit der, über die und auch gegen die Maschine.
Literatur
Crawford, K. (2021). Atlas of AI: Power, politics, and the planetary costs of artificial intelligence. Yale University Press.
Haraway, D., (1991). „A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century.“ in Simians, Cyborgs and Women: The Reinvention of Nature, (S.149-181). Routledge.
Menhard, E. (2025, 06 Juni). KI-Ideologie: Wie digitaler Faschismus in den Mainstream vordringt. netzpolitik.org. https://netzpolitik.org/2025/ki-ideologie-wie-digitaler-faschismus-in den-mainstream-vordringt/ Zuletzt aufgerufen am 17.07.2025.
re:publica. (02.06.2025) re:publica 25: Digitaler Faschismus: Wie KI-Ideologie die Demokratie untergräbt [Video]. YouTube.https://www.youtube.com/watch?v=R07XoKGi6XE. Zuletzt aufgerufen am 17.07.2025.
Zu den Personen
Lea Hildermeier studiert Anglistik und Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld und arbeitet beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) für das Hochschulforum Digitalisierung (HFD) im Bereich Bildung, Digitalisierung und Projektmanagement. Sie engagiert sich seit vielen Jahren in hochschulpolitischen und gesellschaftlichen Projekten, unter anderem als DigitalChangeMaker des HFD und im Common Grounds Forum. Ihre Schwerpunkte liegen auf studentischer Partizipation, digitaler Transformation und mentaler Gesundheit.
Inga Gostmann studiert Gender Studies in Bielefeld und ist Mitglied der Arbeitsgruppe „KI in der Hochschulbildung“ des deutschen Wissenschaftsrats. Sie engagiert sich, neben dem Themenfeld KI in der Bildung, auch für Partizipation und mentale Gesundheit an Hochschulen. Inga setzt sich für diese Themen zum Beispiel als Mentorin der Digital Change Maker beim Hochschulforum Digitalisierung ein. Neben ihrem Studium arbeitet Inga in der Projektkoordination eines von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre geförderten Lehrprojekts, BiLinked, bei sich an der Uni mit.
Zusammen haben Lea und Inga u.a. folgende Publikationen veröffentlicht:
- Brock, T., Einig, B., Gostmann, I., Hildermeier, L., Özden, G., Schuhr, J., Steffens, R., & Basner, T. (2024).Student Mental Health im digitalen Hochschulstudium: Handlungsempfehlungen für die Lehr- und Hochschulgestaltung (Blickpunkt). Hochschulforum Digitalisierung.
- Gostmann, I., & Hildermeier, L. (2024). Studierende im Mittelpunkt: Individuelle Studiengestaltung und kollaborative Curriculumentwicklung. strategie digital: Magazin für Hochschulstrategien im digitalen Zeitalter, 5, 50–55. Hochschulforum Digitalisierung.
- Gostmann, I., & Hildermeier, L. (im Druck). Lern- statt Lehrveranstaltung: Gemeinsam studentische Partizipation verankern. In L. Gerber et al. (Hrsg.), Lernkulturen in der Digitalität gestalten: Potenziale, Konzepte und Praktiken. Beiträge der JFMH 2024 (Medien in der Wissenschaft). Waxmann.
Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.
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