VON CHRISTOPH SCHAMBERGER (DÜSSELDORF)
Der Beitrag von David Lauer bietet eine messerscharfe Diagnose dafür, warum es vielen Philosophiestudierenden schwerfällt, sich für das Schreiben von Hausarbeiten zu motivieren. Seine Forderung, die Texte aus den Schubladen zu holen und sie in Kolloquien zu präsentieren, kann ich nur unterstützen. Das von ihm vorgeschlagene Format der Kolloquiumsseminare ist interessant und sollte ausprobiert werden. Es ist allerdings als Ergänzung zu Standardseminaren konzipiert und auf fortgeschrittene Studierende beschränkt. Ich würde hingegen eine stärkere Forderung aufstellen: Alle Hausarbeiten sollten in Kolloquien diskutiert werden – es sollte zumindest die Gelegenheit dazu geben.
Was Lauer zu Hausarbeiten ausführt, lässt sich natürlich auf Bachelor- und Masterarbeiten übertragen. Jede philosophische Arbeit richtet sich per se an die Öffentlichkeit und bietet einen Beitrag zum philosophischen Fachgespräch. Als solche kann sie von den Studierenden nur ernst genommen werden, wenn tatsächlich die Aussicht besteht, sie in größerem Kreis zu diskutieren. Aber ist das nicht bloß eine Utopie?
Hier ein realistischer Vorschlag, der seit zwei Jahren mit bis zu zehn Hausarbeiten und einer kleineren Zahl von Abschlussarbeiten pro Semester bequem funktioniert: In jedem Semester biete ich ein Kolloquium mit zwei Blockterminen im Gesamtumfang einer Semesterwochenstunde an, in denen die von mir betreuten Hausarbeiten aus verschiedenen Seminaren sowie Abschlussarbeiten (aber keine Dissertationen) diskutiert werden. Die Teilnahme daran ist freiwillig, aber bisher nutzten dieses Angebot fast alle, die bei mir eine Arbeit schreiben wollten. Hätte ich deutlich mehr Arbeiten zu betreuen, müsste ich wohl das Kolloquium auf zwei Semesterwochenstunden erweitern und mehr Termine anbieten. Wer die Veranstaltung nicht als Kolloquium bezeichnen möchte, könnte sie als Seminar „Philosophisches Schreiben“ oder ähnlich deklarieren.
Einen Blocktermin lege ich in die Mitte der vorlesungsfreien Zeit (Anfang März und Anfang September), bei dem anderen Termin richte ich mich nach den Wünschen der Studierenden. Die Arbeiten werden einige Tage vor dem Termin an mich geschickt, und ich mache sie allen Teilnehmenden per E-Mail oder über eine Lernplattform zugänglich. Bewusst gebe ich für Beiträge zum Kolloquium keine Seitenvorgaben. Manche Studierende liefern nur eine Ideenskizze oder einen ersten Entwurf ab, andere reichen eine fast abgabefertige Hausarbeit ein. Der Gesamtumfang der Texte beträgt für jeden Blocktermin rund 50 Seiten. Die Texte sind vorab von allen Teilnehmenden gründlich zu lesen. Sicherlich könnten die Texte stattdessen im Kolloquium vorgetragen werden, so wie Lauer es für Kolloquiumsseminare vorschlägt. Aber dann würden die Sitzungen länger dauern.
Im Kolloquium gehen wir die Arbeiten Seite für Seite durch. Wir achten dabei nicht nur auf die angemessene Darstellung der behandelten Autoren und die argumentative Begründung der eigenen Position, sondern auch auf die sprachliche Gestaltung und die Einhaltung der formalen wissenschaftlichen Standards. Bevor ich mich selbst dazu äußere, bitte ich zuerst die Studierenden, ihre Anregung und Kritik vorzutragen. Erwünscht sind v. a. konkrete Vorschläge, wie sich die Arbeiten ohne übermäßigen Aufwand verbessern lassen. Dadurch werden die Standards für konstruktive gegenseitige Kritik (Peer Review) schon während des Studiums vermittelt und praktiziert.
Erfahrungsgemäß ist es von Vorteil, wenn die Teilnehmenden verschiedene Seminare besucht haben und unterschiedliche Vorkenntnisse besitzen. Studierende ohne einschlägige Vorkenntnisse können oft am besten beurteilen, ob eine Arbeit die behandelten Fachbegriffe, Themen und Theorien hinreichend erläutert. Umgekehrt profitieren Studierende, die eher am Anfang des Studiums stehen, von den Ratschlägen der Fortgeschrittenen, und sie können sich an deren Texten teilweise orientieren.
Nach dem Kolloquium bleibt für die Studierenden ausreichend Zeit, ihre Texte zu überarbeiten. Das Ergebnis ist ähnlich erfreulich wie in den Kolloquiumsseminaren von Lauer. Seit ich Kolloquien anbiete, haben alle Teilnehmenden ihre Arbeit abgeschlossen. Gewiss waren einige der im Kolloquium diskutierten Texte noch mangelhaft, aber am Ende wurden ausschließlich sehr gute und gute Arbeiten abgegeben. Das gilt auch für Studierende, die im Kolloquium nur eine kurze Ideenskizze vorgestellt haben, zu der es gar nicht viel zu besprechen gab. Sie profitierten offenbar weniger von der Diskussion ihres eigenen Textes als von der Diskussion über die Texte anderer.
Dieser Beitrag ist eine Replik auf „Kolloquiumsseminare – Holt die Hausarbeiten aus den Schubladen!“ von David Lauer, erschienen am 15. Juli 2024 auf LehrGut.org.
Zur Person
Christoph Schamberger ist Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er unterrichtet vor allem Logik, Argumentation und theoretische Philosophie, gelegentlich auch praktische Philosophie und Philosophiegeschichte.
Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.
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