Nie wieder wöchentliche Textreferate! Aber was dann?

VON MATTHIAS WARKUS (JENA)

Das klassische Wochenreferat, in dem zu Anfang der Seminarsitzung der Inhalt der dafür vorzubereitenden Lektüre wiedergegeben und besprochen wird, mag so ziemlich niemand. Dass man den Text vorreferiert bekommen wird, motiviert nicht zum Lesen, und gerade bei Veranstaltungen am frühen Morgen oder nach der Mittagspause sind Referate in der Regel das Gegenteil von aktivierend. Was kann man aber stattdessen tun? Diese Frage stellen sich viele und auch auf dem LehrGut-Blog gab es dazu schon Beiträge, zum Beispiel den von Tanja Rechnitzer.

Ohne Referat einsteigen

Ich habe längere Zeit relativ offensiv versucht, Seminarsitzungen grundsätzlich sozusagen kalt zu beginnen, indem ich erst einmal nach unklaren Vokabeln oder Formulierungen fragte und dann nach inhaltlichem Klärungsbedarf. Das funktionierte zwar gar nicht so selten. Gerade anhand eines unverständlichen Wortes oder sonstiger Missverständnisse lässt sich oft gut in eine Diskussion einsteigen. Aber wenn niemand eine produktive Verständnisfrage hat, fällt dieser Ansatz auf die Nase.

Daher bin ich auf die Lösung verfallen, Sitzungen mit kleinen Gruppenaufgaben zu beginnen. Die Fragestellungen können dabei ganz unterschiedlich sein (Termini recherchieren, Inhalte zusammenfassen, inhaltliche Fragen diskutieren, Beispiele sammeln usw.), und je nach Umfang und Einschätzung des Diskussionsbedarfs gebe ich dafür 10–25 Minuten Zeit. Man kann noch eine kleine „Blitzlicht“-Runde mit spontanen Eindrücken aus der Lektüre ganz zu Anfang einschieben, um die Studierenden „zu wecken“.

Studienleistung ohne Referat

Von Seminarteilnehmenden wird in den meisten Studiengängen eine „Studienleistung“ oder „Vorprüfungsleistung“ verlangt, die traditionell in der Regel durch Referate abgegolten wurden. Beginnt man die Sitzungen nicht mit einem Referat, muss man natürlich eine andere Form zum Erbringen der Studienleistung suchen. Ganz altmodische Sitzungsprotokolle funktionieren zwar, ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass deren Qualität sehr unterschiedlich ist und der Arbeitsaufwand dafür, das Protokoll so weit zu redigieren, dass man es dem Plenum zur Verfügung stellen kann, oft recht hoch.

Ein Format, das ich in kleineren Seminaren mit Erfolg angewendet habe, ist, die Studierenden als Studienleistung einen kleinen Vortrag zu einem Thema aus dem Seminar halten zu lassen, aber gerade keine Textreferate. Die Präsentationen werden am Ende des Semesters gebündelt. Es lassen sich bei straffem Zeitmanagement drei bis vier Kurzvorträge in einer 90-Minuten-Sitzung unterbringen. Resultat des Seminars ist dann sozusagen eine thematische „Mini-Konferenz“. In meiner Erfahrung wird in solche thematisch freien Präsentationen wesentlich mehr Arbeit investiert als in Wochenreferate. Der Termin am Semesterende generiert zwar Stress, dafür ist dadurch, dass das gesamte Pensum dann gelesen und diskutiert ist, der Hintergrund der Präsentationen solide und die Erwartungen auf allen Seiten sind klar. Zudem kann das Vortragsthema natürlich auf eine Hausarbeit oder sonstige Prüfungsleistung vorgreifen. Der Betreuungsaufwand ist etwas höher als bei Textreferaten: Eine kurze Vorbesprechung und eine Durchsicht von Folien und Vortragsnotizen vor dem Vortragstermin sollte es schon sein, wobei dies auch bei konventionellen Textreferaten kein Fehler ist. Benötigt man mehr Studienleistungen, als der Terminplan an Präsentations-Slots hergibt, kann man zusätzlich noch Protokolle vergeben oder die Vorträge durch Kleingruppen halten lassen. Hierbei ist es, wie immer bei Gruppenreferaten, wichtig, die Aufteilung der Leistung im Auge zu behalten. 

Wenn schon Referate, dann nicht bloß über Texte

In verschiedenen Proseminaren zu Philosophie der Architektur, des Designs und der Science Fiction haben meine Kolleg*innen und ich das Konzept angewendet, zwar Wochenreferate halten zu lassen, aber explizit nicht als Textreferate, sondern als Leistung einer Inbeziehungsetzung: eines philosophischen Textes mit einem Gebäude, einem Objekt, einer Kurzgeschichte oder einem Film. Die Referierenden durften davon ausgehen, dass alle im Raum den Text gelesen haben und eine erschöpfende Inhaltsangabe nicht mehr nötig ist; ihre Aufgabe war es dann, den Text zu dem „Anschauungsgegenstand“ in Beziehung zu setzen. Dies ist zwar eine anspruchsvolle Aufgabenstellung, aber zumindest in meiner Erfahrung eine stark motivierende, die häufig exzellente, offensichtlich mit erheblichem Vorbereitungsaufwand hinterlegte Vorträge hervorbringt. Auch hier gilt natürlich, dass eine gewisse Betreuung benötigt wird.

Insgesamt habe ich fast ausschließlich gute Erfahrungen mit diesen Alternativstrategien zu Textreferaten gemacht. Es gibt vor allem zwei Pferdefüße dabei: zum einen kann es vorkommen, dass Gruppenaufgaben am Beginn der Sitzung nicht „zünden“ und dann eine „tranige“ Atmosphäre herrscht, die dazu verleitet, als Dozent*in übermäßig zu monologisieren, was das Problem noch verschlimmert; zum anderen können thematisch freie studentische Vorträge auch bei adäquater Vorbesprechung manchmal unerwartet völlig danebengehen, da sie sich nicht an einer Textvorlage entlangbewegen. Beides ist jedoch selten. Insgesamt scheint man mit dem klassischen Wochenreferats-Format mehr Langeweile und schlechtere Vorträge zu riskieren als mit den Alternativen.


Zur Person

Matthias Warkus ist verantwortlicher Redakteur der Deutschen Zeitschrift für Philosophie, hat eine zweiwöchentliche philosophische Kolumne bei spektrum.de und ist seit 2010 fast durchgehend Lehrbeauftragter (Marburg, Jena, Weimar, Burg Giebichenstein). Vielfältige freiberufliche Tätigkeiten als Redakteur, Publizist und Dozent.


Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.


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