KI-Einsatz in Online-Redaktionen

VON BENJAMIN BIRKENHAKE (BIELEFELD)

Dieser Beitrag erscheint im Rahmen des Themenschwerpunkts „Künstliche Intelligenz in der philosophischen Hochschullehre“. Es handelt sich um einen Beitrag aus der Praxis, der zeigt, wie KI im Arbeitsalltag eingesetzt wird und warum das trotzdem die Fähigkeiten nicht überflüssig macht, die in einem Philosophiestudium gelernt werden.

Etwas aus der Praxisperspektive von Philosoph.innen und Textarbeiter.innen über Large Langugae Models (LLMs) zu schreiben, ist in sich selber schon eine Herausforderung. Zwischen der Anfrage für diesen Text und seiner Veröffentlichung haben sich der Umgang und v.a. die Einschätzung über die Zukunft von LLMs in meiner Branche wieder verändert. Tatsächlich habe ich kein Feld in meiner Karriere, das sich schneller weiterentwickelt hat als der KI-Bereich seit dem Launch von ChatGPT vor zwei Jahren. Aber zuerst vielleicht: Über welche Praxisperspektive reden wir hier eigentlich? Ich arbeite in einer Agentur, die Online-Redaktionssysteme baut und Online-Redaktionen bei fast allen Facetten ihrer Arbeit unterstützt. Dabei fällt für mich selbst viel Textarbeit in Form von Kommunikation, Projektleitung, Beratung und Programmierung an, derweil unsere Kund.innen viele verschiedene Formen von digitalen Inhalten für unterschiedlichste Zielgruppen und Kanäle produzieren.

In beiden Arbeitsfeldern ist der Einsatz von LLMs inzwischen alltäglich und selbstverständlich, in unterschiedlicher Weise, und in beiden Feldern entwickelt er sich rasant weiter. Da mein eigener Arbeitsbereich nur so halb spannend ist, lege ich den Fokus auf die Arbeit, die unsere Kund.innen mit LLMs machen, auch weil das viel eher klassische Textarbeit ist, wie sie im Sinne einer philosophischen Ausbildung erlernt wird. Die meisten Redaktionen, die wir betreuen, produzieren Inhalte mit Nachrichten- oder Magazin-Charakter oder aus den Feldern politische Kommunikation und Wissenschaftskommunikation. Praktisch alle Redaktionen sind in einem Umfeld tätig, das zuerst auf Online-Kommunikation ausgerichtet ist und deswegen Masse belohnt, während die Redaktionen meist einen hohen Anspruch an die Qualität haben. Deswegen werden LLMs bei unseren Redaktionen in der Regel nicht verwendet, um Texte initial zu produzieren, sondern v.a. in der Weiterverarbeitung von Rohfassungen sowie in der übergeordneten Redaktionsarbeit benutzt. Im Folgenden stelle ich ein paar Beispiele dafür vor. 

Besonders viel Zeit spart die automatische Überarbeitung von (fast) fertigen Texten entlang von Redaktionsrichtlinien, um sprachliche Einheitlichkeit herzustellen. Die Richtlinien enthalten bspw. die Art, wie gegendert wird, klare Regeln für das Schreiben von Zahlen und Datumsangaben, das Entfernen von Füllwörtern und Dopplungen, das Ausschreiben von Abkürzungen und selbstverständlich die Korrektur der Kommasetzung, Grammatik und Rechtschreibung nach der aktuellsten Duden-Ausgabe. 

Weitere Funktionen, die in der Textarbeit inzwischen zum Redaktionsalltag gehören, und ebenfalls auf den fast fertigen Texten durchgeführt werden, sind 

  • das Vorschlagen von Schlag- und Stichworten, basierend auf dem bestehenden Schlag- und Stichwort-Korpus einer Website, 
  • die Generierung von Zwischenüberschriften, 
  • das Erstellen von Zusammenfassungen für verschiedene Kanäle und Zielgruppen, 
  • die Anpassung der Tonalität (etwa von “Sie/Ihr” zu “Du/Euch”)
  • sowie eine Funktion, die Vorschläge macht, um welche Themen oder Fragestellungen ein fast fertiger Text noch ergänzt werden kann. 

Viele dieser Arbeitsschritte sind nicht vollautomatisch, sondern bestehen in gestuften Prozessen, bei denen die Redakteur.in die Überarbeitung auslöst und vom Redaktionssystem und dem LLM Vorschläge bekommt, die dann leicht übernommen, verworfen oder angepasst werden können. 

Parallel dazu gibt es die Möglichkeit, LLMs in Redaktionen nicht nur in der Textwerkstatt einzusetzen, sondern auch auf übergeordneter Ebene. Sobald eine Website eine signifikante Menge an Inhalten erreicht hat (hier reichen mitunter schon wenige hundert Beiträge), kann man LLMs sowohl Analysen als auch Vorschläge für die Redaktionsplanung machen lassen. Fragestellungen wie „Welche Themen sind bisher wie stark in der Substanz vertreten?“ können LLMs in der Tat deutlich leichter beantworten als klassische Datenbank- oder Textkorpus-basierte Ansätze. Aus solchen Einsichten lassen sich dann gut Folgefragestellungen entwickeln, wie „In welchem wichtigen Themenbereich fehlen uns Inhalte?“ oder „Wie lassen sich mehrere Themen aufeinander aufbauen?“. Hier hat die Erfahrung gezeigt, dass LLMs eine verblüffend gute und damit für die Redaktion wertvolle Außenperspektive bieten, die mitunter korrekter ist als die Selbstwahrnehmung der Redaktion. 

Weitaus spannender als diese ersten, vergleichsweise profanen Verwendungen sind zwei andere Aspekte beim Einsatz von LLMs. 

Zum einen hat die Erfahrung der letzten zwei Jahre gezeigt, dass der Umgang mit LLMs anders ist als bei vielen, ja fast allen früheren digitalen Werkzeugen: Sie sind in ihrem Nutzen unklarer und in ihrem Einsatz vielfältiger, flexibler und gleichzeitig abhängig von den Fähigkeiten und der Erfahrung der einzelnen Nutzer.innen. Werkzeuge wie die oben beschriebenen haben wir erst im Laufe der Zeit gemeinsam mit den beteiligten Redaktionen entwickelt und manche waren erst ab einem bestimmten Niveau der LLMs nutzbar. Wir sehen sehr deutlich, dass dieser Prozess kontinuierlich weitergeht: Entwicklungsstand der LLMs und Erfahrung und Kompetenz der Anwender.innen wachsen parallel zueinander. Die Nützlichkeit und Zufriedenheit der Anwender.innen – die häufig ja anspruchsvolle Textarbeiter.innen sind – nehmen in einer vergleichsweise flachen Kurve zu, wobei Fehler und gescheiterte Versuche selbstverständlich beim Fortschritt unverzichtbar sind. Das Aneignen von effizienter und zufriedenstellender KI-Anwendungskompetenz ist – das ist unsere Haupterfahrung – komplexer als die aller textrelevanten Techniken seit Einführung digitaler Textverarbeitung. 

Zum anderen weist die Entwicklung der letzten beiden Jahre unserer Ansicht nach in eine bemerkenswerte Richtung: LLMs sind zwar oft vom Mainstream geprägt, machen aber – vielleicht deswegen, evtl. aber auch trotzdem – einen hervorragenden Job, wenn es darum geht, Außenperspektiven einzunehmen. Dies ist sowohl in der individuellen als auch in der Team-Arbeit eine extrem wertvolle Ergänzung, da gerade Text-Arbeit, im Grunde aber jede Form von Arbeit in der Wissensgesellschaft, anfällig für kognitive Verzerrungen oder kognitive Fehler ist, die LLMs ziemlich erfolgreich zu umgehen, aufzuzeigen und zu vermeiden helfen. LLMs sind als Technologie ebenfalls für strukturelle Fehler auf unterschiedlichen Ebenen bekannt, deren Erkennen wiederum einen mitunter gut ausgebildeten menschlichen Geist benötigt. Das Zusammenspiel beider Arbeitsansätze veranschaulicht, wie komplex der Kompetenzaufbau in diesem Feld ist. Wie in den obigen Beispielen schon angedeutet, können LLMs gerade bei der Planung und Evaluation wertvolle flankierende Beiträge liefern, die nicht nur Zeit in der Arbeitsplanung sparen, sondern auch helfen, Fehler und falsche Prioritäten oder machtpolitische Einflüsse zu vermeiden. In Einzelfällen geht das schon so weit, dass die Evaluation durch LLMs zu einem Pflicht-Prozess in der Qualitätssicherung geworden ist. In welchen Bereichen so verfahren werden kann, hängt durch die systematische Fehleranfälligkeit von LLMs stark von den jeweiligen Aufgaben ab. Auch hier steht und fällt der erfolgreiche Einsatz mit der Erfahrung und Anwendungskompetenz der Nutzer:innen. Dabei zeigt sich, dass die Schwelle für einen effizienten und akzeptablen Einsatz von LLMs zur Qualitätssicherung oft niedriger liegt, als von den Beteiligten initial erwartet wird.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in der Tat keine andere Technik seit der Erfindung der Textverarbeitung und des World Wide Web die Arbeit von Redaktionen so stark verändert hat wie LLMs. Gleichzeitig sind die Herausforderungen dabei deutlich größer, weil Anwendung, Mehrwert, kultureller Einfluss und individuelle Relevanz von LLMs noch viel weiter gefasst sind als bei vorherigen Techniken und stärker von der eigenen Erfahrung und den eigenen Fähigkeiten im Umgang mit dem Werkzeug abhängig sind. Gleichzeitig setzt der erfolgreiche Einsatz von LLMs in der Textarbeit auf einem etwas gehobenen Niveau weitestgehend unabhängig erworbene Fähigkeiten in Bereichen von Textkompetenz bis Weltwissen voraus. Als Werkzeug in der Wissensgesellschaft sind sie zwar ausgesprochen mächtig und vielseitig einsetzbar, erfordern aber noch mehr als in früheren Phasen und Techniken der Digitalisierung gut ausgebildete Anwender:innen.


Zur Person

Benjamin Birkenhake hat 2002 sein Studium an der Uni-Bielefeld als Magister Artium in  Literaturwissenschaft, Philosophie und Texttechnologe beendet. Er ist Gründer der Agentur  Palasthotel, bloggt seit 2001 und erlebt mit seinen beiden Kinder Abenteuer im Rollenspiel  „Am Rande der Galaxis“.


Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.


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