E-Learning in der Philosophie – Potentiale und Grenzen

VON JOCHEN HENRIK HARTZ (KIEL)

Häufig werden digitale Lehr- und Lernangebote in der philosophischen Hochschullehre entweder blind bejubelt oder pauschal als Tinnef belächelt. Eine abwägende Perspektive ist eher selten. Dabei zeigt ein Digitalisierungsprojekt der CAU Kiel, dass gerade eine bewusste Auseinandersetzung mit den Grenzen von E-Learning helfen kann, dessen Potenziale zu nutzen.

Spätestens mit der Pandemie wurde in vielen Fachbereichen der Bedarf an digitalen Angeboten deutlich, die über die bloße (ob synchrone oder asynchrone) Digitalisierung von Lehrveranstaltungen oder die Bereitstellung von Texten hinausgehen. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Aufbereitung digitaler Inhalte zu einer erheblichen Mehrbelastung der Lehrenden führen kann. Vor diesem Hintergrund wurde am Philosophischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ein interaktives E-Learning-System entwickelt, welches fortan die Studienanfänger:innen beim selbstgesteuerten Erwerb propädeutischer und methodischer Fachkompetenzen unterstützen und zugleich die Lehrenden entlasten soll. Dadurch soll die Betreuungssituation verbessert und indirekt ein Beitrag zur Senkung der Studienabbruchquoten geleistet werden.

Auf Basis einer fach- und zielgruppengerechten didaktischen Konzeption wurde ein intuitiv bedienbares Selbstlernmodulsystem geschaffen, welches verschiedene Formate wie Videotutorials und responsive Aufgabenstrukturen integriert und den Studierenden über die gesamte Studiendauer zur Verfügung steht. Es zeichnet sich – soweit möglich – durch inklusive und barrierearme Zugänglichkeit sowie die Optimierung für alle mobilen Endgeräte aus und soll neben den fachlichen Kompetenzen auch die Selbst- und Medienkompetenz der Studierenden stärken. Durch die nahtlose Integration ins Learning-Management-System der Hochschule steht es schließlich allen Lehrenden als Instrument für hybride Lehrformate bzw. Blended-Learning-Szenarien zur Verfügung. 

[Screenshot: Tablet-Ansicht aus dem Kapitel zum philosophischen Essay im Studium; Copyright: Philosophisches Seminar der CAU Kiel, Jochen Henrik Hartz]

Was bis hierhin noch abstrakt und vollmundig klingt, bedarf nun der Veranschaulichung und abwägenden Reflexion. Interessierte Leser:innen können sich unter folgendem Link ein eigenes Bild machen:

https://rise.articulate.com/share/FFgHDCFyZbmAXvFGm_mKy7t5YX5E0H_H

Auch wenn ein Blogartikel nicht den Raum für eine ausgiebige Diskussion bietet, sollen an dieser Stelle doch Potenziale und Grenzen solcher E-Learning-Angebote skizziert werden, um die Lehren aus dem vorliegenden Projekt zu umreißen und für vergleichbare Projekte an anderen Standorten nutzbar zu machen. Viele dieser Einsichten lassen sich dabei für den Bereich des E-Learnings insgesamt verallgemeinern. 

So lässt sich zunächst festhalten, dass interaktive digitale Bildungsmedien den insbesondere in den Geisteswissenschaften zentralen zwischenmenschlichen und reflexiven Diskurs nicht ersetzen können. Jedoch kann mit ihrer Hilfe – wie das vorliegende Projekt und die durchweg positiven Rückmeldungen von Studierenden wie Lehrenden zeigen – die Vermittlung propädeutischer und methodischer Kompetenzen signifikant unterstützt werden. Auf diese Weise kann durchaus mehr Raum für den eigentlichen philosophischen Diskurs geschaffen werden.

Generell gilt die von Patricia Arnold und Kolleg:innen konstatierte Prämisse: „Nur qualitativ hochwertige virtuelle Bildungsangebote können zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lehr- und Lernsituation führen.“ (Arnold et al., 2018: 15) Dazu können sie erst durch eine versierte didaktische Konzeption werden. Um diese zu gewährleisten, müssen wiederum die Lehrenden in Fragen der Medienkompetenz und -didaktik geschult werden, sofern dies nicht bereits zu ihrer Kernexpertise gehört. Dies setzt eine Entlastung an anderer Stelle voraus.

E-Learning-Formate können zeit- und ortsunabhängiges Lernen und damit neue Freiheitsgrade für Lehrende und Lernende ermöglichen, bergen aber auch die Gefahren des Verlusts an analytischer Tiefe und der Fragmentierung. Das self-pacedlearning kann der zunehmenden Heterogenität der Studierenden und ihrer Lernstile Rechnung tragen. Selbstorganisiertes und autonomes Lernen ist dabei allerdings auf ein hohes Maß an Selbstorganisation bzw. auf die Unterstützung der autodidaktischen Kompetenzen der Studierenden angewiesen. Zudem besteht das Risiko, eine Konsumhaltung der Lernenden und eine zunehmende Isolation Studierender zu fördern. 

Einer möglichen Bereicherung und Diversifizierung der Lehre steht ein hoher didaktischer und technischer Aufwand gegenüber. Der umfangreiche, nicht zuletzt finanzielle Initialaufwand kann (zumindest bei asynchronen Angeboten) durch die Wiederverwendbarkeit kompensiert werden. Qualifizierte digitale Angebote können Zugangsbarrieren für mobilitätseingeschränkte Studierende abbauen und die Internationalisierung fördern, sind jedoch in besonderem Maße auf die konzeptionelle Berücksichtigung von Inklusions-, Diversitäts- und nicht zuletzt Datenschutzrichtlinien angewiesen. 

Kehren wir zum Ausgangspunkt des vorliegenden Projekts zurück, so lässt sich festhalten, dass mit Hilfe digitaler Angebote die Resilienz des universitären Lehrbetriebs gegenüber äußeren Hemmnissen gestärkt werden kann. Gleichzeitig sind sie aber auch störungsanfällig, zumal deutsche Hochschulen in jüngerer Zeit vermehrt zum Ziel von Manipulationen oder Spionage geworden sind. Nicht zuletzt – und auch das zeigt das vorliegende Projekt – kann die nachhaltige Nutzbarkeit digitaler Lehr- und Lernangebote nur mittels ihrer kontinuierlichen Erweiterung und Aktualisierung gewährleistet werden. Dieser steht die zumeist projektbasierte Organisation entsprechender Vorhaben jedoch diametral entgegen.

Obschon hier nur skizziert, sollte doch die Bedeutung einer abwägenden Auseinandersetzung mit den Grenzen digitaler Lehr- und Lernangebote für den zielführenden Einsatz in der geisteswissenschaftlichen Hochschullehre deutlich geworden sein. Ist sie Teil der Planungs- und Definitionsphase eines entsprechenden Projekts, kann sie maßgeblich zu dessen Erfolg beitragen.


Literatur

Arnold, Patricia / Kilian, Lars et al.: Handbuch E-Learning. Lehren und Lernen mit digitalen Medien, Bielefeld: Bertelsmann 2018.

Bei dem eingebetteten Link handelt es sich um eine Preview-Ansicht des zur studiengangsinternen Verwendung entwickelten propädeutischen E-Learning-Modulsystems. Alle Rechte liegen beim Philosophischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 


Zur Person

Jochen Henrik Hartz war in den vergangenen Jahren in der philosophischen Lehre an der Christian-Albrechts-Universität Kiel tätig. Ab 2020 war er für die Konzeption und Umsetzung des vorgestellten Digitalisierungsprojekts verantwortlich und entwickelt seitdem E-Learning-Angebote für Akademien und Bildungsträger. Aktuell bereist er Japan und arbeitet an einer Verquickung von Fotografie und philosophischer Essayistik.

Kontakt: hello@jochenhenrikhartz.de


Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.


Kommentare? Gern veröffentlichen wir selbst sehr kurze Repliken als eigene Beiträge. Mehr dazu unter Hinweise für Beitragende.