VON ALMUT KRISTINE V. WEDELSTAEDT (BIELEFELD)
Die Grundidee des Satellitenseminars ist einfach: Studierende tun sich zu einer Kleingruppe von mindestens drei Personen zusammen. In dieser Kleingruppe verständigen sie sich auf ein Thema, das sie bearbeiten möchten. Das kann etwa ein Buch sein wie Quines „Word and Object“ oder ein Themengebiet wie Tierethik. Die Studierenden entwerfen einen Seminarplan, den sie im Laufe des Semesters bearbeiten. Ihr Arbeitsplan soll dabei mindestens auf eine Diskussionszeit von 20 Stunden kommen, deutlich weniger als in einem normalen Seminar. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Kurs für sie aufgrund des hohen eigenständigen Arbeitsanteils aufwändiger ist. Die Studierenden dokumentieren ihre Arbeit in einem fortlaufenden Logbuch. Die Einträge dort sind am Ende der Beleg für die getane Arbeit und die Grundlage für die Vergabe von Leistungspunkten für die Seminarteilnahme. Es besteht außerdem die Möglichkeit, im Anschluss an das Seminar eine Prüfung zum Modulabschluss abzulegen.
Dieses Format haben Christian Nimtz und ich im März 2020 für die Abteilung Philosophie der Universität Bielefeld entwickelt. Wir waren angesichts der plötzlichen Notwendigkeit eines Onlinelehrbetriebs zunächst ziemlich ratlos. Deshalb suchten wir ein flexibles Format, das von technischen Möglichkeiten weitgehend unabhängig sein sollte, es Studierenden aber ermöglichen würde, auf jeden Fall in ihren fachlichen Lernprozessen weiterzukommen und auch Prüfungsleistungen abzulegen. Das Format, das all diesen Anforderungen genügte, war das „Satellitenseminar“, das wir seitdem im Wesentlichen unverändert gemeinsam anbieten.
Für uns Lehrende ist dieses Format in der Regel verhältnismäßig unaufwändig und so überschaubar, dass die Anrechnung als begleitetes Selbststudium mit 0,3 LVS insgesamt uns bisher nicht davon abhält, es anzubieten. Wir unterstützen die Studierenden bei allen Anliegen, die sie haben. Das beinhaltet meist die folgenden Dinge: Unterstützung bei der Gruppenbildung, Beratung bei der Literaturauswahl und Seminarplanerstellung sowie Beratung, wenn sich Änderungen am ursprünglichen Plan ergeben. Diese Betreuung erfolgt im Rahmen von Einzelgesprächen mit den Gruppen sowie gemeinsamen Reflexionssitzungen mit Mitgliedern aller Gruppen, bei denen die Gruppen sich auch untereinander austauschen können. Eine Schwierigkeit ergibt sich manchmal daraus, dass wir natürlich nicht für alle Themen gleichermaßen einschlägig sind. Wenn wir uns selbst mit den Gegenständen, die die Studierenden bearbeiten möchten, weniger gut auskennen, unterstützen wir die Gruppen darin, Kolleg*innen zu finden, die sie inhaltlich beraten können. Wir ermutigen die Studierenden außerdem dazu, im Laufe des Semesters externe Expert*innen für ihr Thema zu Diskussionssitzungen einzuladen. Wenn Gruppen sich darauf einlassen, erleben sie das in der Regel als große Bereicherung.
Das ist das Grundgerüst des Kurses, das wir seit dem SoSe 2020 durchgehend für Philosophiestudierende ab dem 2. Bachelorjahr, Studierende des Masters of Education sowie des fachwissenschaftlichen Masters anbieten. Der Erfolg ist dabei recht unterschiedlich: In einem Semester gab es keine Satellitengruppe, in manchen nur eine, jetzt gerade im SoSe 2024 haben wir vier Gruppen zu ganz verschiedenen Themen. Es handelt sich mit Sicherheit auch um ein Format, das nicht für alle Studierenden gleichermaßen geeignet ist, was dagegenspricht, es verpflichtend im Studium einzubauen. Die Erfahrung zeigt aber: Wenn es einer Gruppe gelingt, sich zu konstituieren, kommt sie normalerweise mit allen Mitgliedern erfolgreich durch das Semester. Die Teilnehmenden sind in der Regel mit einer hohen Verbindlichkeit dabei und arbeiten engagiert zusammen.
Das hat den schönen Nebeneffekt, dass es auf diese Weise gelingt, einige Philosophiestudierende aus ihrem Einzelkämpfertum herauszuholen. Denn das ist ein Problem, mit dem wir in Bielefeld immer wieder zu tun haben: Viele Studierende haben nur wenig intensiveren Kontakte zu Kommiliton*innen und sehen auch gar nicht, dass es gut wäre, das zu ändern. Das Satellitenseminar trägt sehr dazu bei, dass Studierende Kontakte knüpfen und die Vorteile des Arbeitens in Gruppen erleben.
Allerdings besteht eine große Schwierigkeit darin, überhaupt Studierende in Gruppen zusammenzubringen. Geraume Zeit haben wir versucht, die Studierenden hauptsächlich per E-Mail zu erreichen, was mittelmäßig erfolgreich war. Inzwischen sind wir dazu übergegangen, in jeder vorlesungsfreien Zeit ein Informationstreffen anzubieten. Oft kommen zu diesen Treffen nur wenige Personen. Häufig haben diese aber bereits Ideen für Themen. Die Themenideen schicken wir dann wieder über den großen Studierendenverteiler, der alle in Philosophie Eingeschriebenen erreicht, und bitten Interessierte sich zu melden, damit wir Kontakte herstellen können. Zusätzlich nutzen wir die Kommunikationskanäle der Bielefelder Fachschaft Philosophie. Auf diese Weise gelingt es oft, einige Studierende zusammenzubringen. Die Erfahrung der letzten Semester zeigt, dass es für die erfolgreiche Zusammenarbeit überhaupt kein Nachteil ist, wenn die Gruppenmitglieder sich vorher nicht kennen.
Die Möglichkeit, zum Thema des Satellitenseminars eine Prüfung zu erbringen, wird ab und an genutzt. Erst mit den letzten Studiengangsänderungen im Rahmen der Reakkreditierung haben wir für den Bachelor und Master of Education eigene Satellitenmodule geschaffen und werden dann in Zukunft sehen können, wie die Qualität der spezifischen Prüfungen sich hier entwickelt. Da es in Bielefeld fast keine seminarabhängigen Prüfungen gibt, sondern die Prüfungen nur Modulen zugeordnet sind, war das bisher nicht möglich, weil die Prüfungen sich über verschiedene Module verteilten.
Alles in allem ist das Satellitenseminar ein Erfolgsmodell. Natürlich wissen wir nicht genau, was die Studierenden inhaltlich aus ihren Seminaren ziehen. Aber ehrlicherweise wissen wir das in anderen Seminaren ja auch nicht immer. In jedem Fall lernen die Studierenden hier eigenständiges und selbstorganisiertes Arbeiten in Gruppen in einem Ausmaß, wie es in anderen Lehrveranstaltungen nicht leicht zu ermöglichen ist. Das bedeutet auch nach ihrer eigenen Einschätzung mehr Arbeit, als sie in anderen Veranstaltungen oft leisten. Aber ebenfalls ihrer eigenen Einschätzung nach lohnt sich diese Arbeit. Sie lernen hier etwas, was sie in ihrem weiteren Studium gut brauchen können, ganz sicher aber auch danach, sei es, dass sie eine akademische Karriere anstreben oder einen außerakademischen Weg einschlagen. Auch für angehende Philosophielehrkräfte ist diese Art des eigenständigen fachlichen Arbeitens im Austausch mit Kommiliton*innen bzw. Kolleg*innen von unschätzbarem Wert.
Weitere Informationen und Materialien zum Satellitenseminar finden sich hier: https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/philosophie/angebote-und-hilfsmittel/satellitenseminar/
Zur Person
Almut Kristine von Wedelstaedt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung Philosophie der Universität Bielefeld. Dort ist sie zuständig u.a. für Studienorganisation, Studiengangsentwicklung und Geschäftsführung der Abteilung. Philosophisch arbeitet sie im Bereich der Praktischen Philosophie, momentan meist zu Fragen der Sexualphilosophie. Sie ist Mitbegründerin und Redaktionsmitglied bei LehrGut.org.
Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.
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