Philosophie durch Bilder und andere nichtsprachliche Medien unterrichten

VON MARTIN LENZ (HAGEN)

Als ich Anfang der neunziger Jahre in Bochum Philosophie studierte, schien es in der Philosophie ein Bilderverbot zu geben. Mein akademischer Lehrer Kurt Flasch zum Beispiel lehnte es sogar weitgehend ab, die Tafel zu benutzen.* Das kam mir damals sehr seltsam vor. Ich habe ihn nie danach gefragt, aber vielleicht geht dieses Bilderverbot auf einen seiner Lehrer, Max Horkheimer, zurück, der das „Bilderverbot“ als mögliche Grundlage für eine wirklich kritische Haltung gegenüber Ideologien vorschlug. Während ein dezidiert sprachfixierter Ansatz in der Philosophie ein entscheidender Teil ihrer Geschichte ist, meine ich auch, dass er auf einer Unterschätzung der Sinne und der Erfahrung als solcher beruht. Meiner Ansicht nach kann der bloße Versuch, geschriebene Gedanken in Bilder umzuwandeln oder diese beiden Medien zu kombinieren, ein ganzheitlicheres Verständnis verschiedener Themen ermöglichen. Gleichzeitig sind unsere gegenwärtigen Praktiken von Bildern überflutet und erfordern daher entsprechende Kompetenzen. Im Folgenden möchte ich schlicht meine Erfahrungen mit dem Unterrichten durch Bilder teilen und mit einigen Gedanken zu nichtsprachlichen Medien schließen.

Wie ich Infografiken eingeführt habe 

Hin und wieder habe ich versucht, meine Studierenden zu ermutigen, Zeichnungen, Tabellen, Diagramme oder andere Hilfsmittel in ihren Texten zu verwenden. Wir neigen offensichtlich dazu, unterschiedliche Argumentationsstile zu verwenden, die unseren unterschiedlichen Talenten oder Hintergründen entsprechen. Wie Frege in seiner Begriffsschrift argumentierte, sehen wir beispielsweise deutlich unterschiedliche Aspekte von Gedanken, wenn wir unterschiedliche grafische Darstellungen logischer Schlussfolgerungen verwenden. Dem ermutigenden Rat meines Groninger Kollegen Benjamin Bewersdorf folgend habe ich schließlich eines schönen Tages meinen Kurs über mittelalterliche Theorien des Denkens überrascht: Ich schrieb meinen Studierenden einen Tag vor dem Unterricht eine Mail und bat sie, Buntstifte mitzubringen; dann verteilte ich Zeichenpapier und bat sie, spontan Infografiken anzufertigen. Ich teilte die Studierenden in drei Gruppen ein. Eine musste eine begriffliche Unterscheidung bzw. ein Problem darstellen, eine andere eine Debatte und eine dritte eine historische Entwicklung. Nachdem sie ein Thema gewählt hatten, hatten sie etwa dreißig Minuten Zeit, um ihre Infografiken anzufertigen und dann (a) das dargestellte Thema und (b) die durch die Aufgabe vermittelte Erfahrung zu präsentieren. Die Ergebnisse waren erstaunlich.**

Drei Punkte fielen mir besonders auf:

  • Solche Arbeiten spontan erledigen zu müssen, aktiviert ganz unterschiedliche Studierende.
    Zumindest meiner Erfahrung nach gibt es oft eine bestimmte Gruppe von Studierenden, die einen Großteil der aktiven Diskussionen im Kurs dominiert. Im Gegensatz dazu scheint diese Art von Aufgabe unterschiedliche Talente und damit auch unterschiedliche Interaktionsmuster zu begünstigen, wodurch sonst eher ruhige Studierende im Vordergrund stehen und neue Formen der Zusammenarbeit möglich werden.
  • Die Verwendung solcher Medien lässt einen überdenken, was man weiß (oder zu wissen glaubt).
    Die Notwendigkeit, ein philosophisches Problem zu veranschaulichen, bringt vage Punkte oder Grenzen unseres Verständnisses gnadenlos zum Vorschein. Nicht zuletzt erfordert die Darstellung von Beziehungen zwischen Gegenständen, Begriffen, Gesprächspartnern oder gar historischen Phasen, dass man beispielsweise über die Art und Weise nachdenkt, wie die Relata kontrastiert werden. Gleichzeitig ermöglichen solche Darstellungsformen oft ein Verständnis eines Problems auf einen Schlag in einer Art Geistesblitz, anstatt dass man sich durch sequenzielle Schlussfolgerungen bewegen muss.
  • Die beiden vorherigen Punkte führen zu einem dritten: einer neuen Erfahrung.
    Man kann dafür argumentieren, dass (philosophisches) Lernen entscheidend von der Art der Erfahrung abhängt, die wir machen, wenn wir mit einem Problem konfrontiert werden. Das Erleben der Barrieren und Erkenntnisse durch die Transformation von Wissen, das hauptsächlich sprachlich verfügbar ist, könnte es ermöglichen, sich auf eine andere Weise auf seine eigenen Gedanken und auf die anderer zu beziehen und sie dadurch tiefer zu verankern.

Andere Medien und andere Formen der Philosophie  

Infografiken erlauben einen einfachen Einstieg. Aber ich würde generell versuchen, Studierende und Kolleg:innen zu ermutigen, über verschiedene Medien oder Kunstformen nachzudenken, um sich inspirieren zu lassen. Wie mein Kollege Andrea Sangiacomo beispielsweise gezeigt hat, ermöglicht das Ernstnehmen des Begriffs „Meditation“ in Descartes‘ Meditationes ein erweitertes Verständnis dessen, worum es in dieser Philosophie und in der Tat in einem Großteil der philosophischen Tradition geht (siehe hier und hier). In vergleichbarer Weise befasst er sich jetzt mit Tanzformen – insbesondere mit Kontaktimprovisation –, um verwandte Wege des philosophischen Verständnisses zu erkunden.

Bildkompetenz? 

Es ist eine Sache zu verstehen, wie die „Verkörperung“ des Denkens erforscht werden kann, indem sprachliches Denken in andere Sinnesmodalitäten transformiert wird. Ein weiterer Punkt einer solchen Transformation ist es, beispielsweise zu verstehen, wie Bilder überhaupt funktionieren und wie sie mit sprachlicher Kommunikation verbunden und verwoben sind. Während die sozialen Medien mit Bildern und Videos übersät sind, ist noch wenig darüber bekannt, wie sie unser Leben beeinflussen und tatsächlich verändern, von der privaten Interaktion bis hin zur Kriegsführung. Meine Gedanken dazu hebe ich mir für eine andere Gelegenheit auf. Es genügt zu sagen, dass der Versuch, sprachliche Gedanken in Bilder zu verwandeln, nicht nur neue Erfahrungen hervorbringt, sondern auch die logischen Grenzen von Bildern offenlegt.


Anmerkungen

* Interessanterweise erschien 1991 eine Einführung in die Philosophie, die auf Infografiken basiert (der DTV-Atlas Philosophie). Aber wie man sich vorstellen kann, war sie damals sehr verpönt und wurde nie verwendet oder offen empfohlen.

** Dargestellt sind einige Ergebnisse meines Kurses aus dem Jahre 2022 zum Thema „Was ist Denken? Mittelalterliche Philosophie des Geistes“. Ich bin meinen Studierenden, die während des gesamten Kurses großartige Arbeit geleistet haben, sehr dankbar. Besonderer Dank geht an Sam Alma für die Durchführung eines faszinierenden Tutorials, in dem er einen Aufsatz mit Infografiken kombiniert hat.

Dieser Beitrag ist zuerst auf Englisch im Blog Handling Ideas erschienen.


Zur Person

Martin Lenz ist seit 2024 Professor für Theoretische Philosophie an der FernUniversität in Hagen. Zuvor studierte er Philosophie, Linguistik und Deutsche Literatur in Bochum, Budapest und Hull (M.A. 1996, Dr. phil. 2001 in Bochum) und verbrachte seine Postdoc-Zeit in Cambridge, Tübingen und Berlin (Habilitation 2009). Von 2012 bis 2024 war er Professor für Geschichte der Philosophie in Groningen (NL).
Hier geht es zu seinem Lehrgebiet in Hagen: https://www.fernuni-hagen.de/philosophie/lg1/
Hier geht es zu seinem privaten Blog: https://handlingideas.blog/


Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.


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