VON HENNING FRANZEN (BERLIN)
Ohne fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten hilft die beste Fachdidaktik nichts. Eigentlich selbstverständlich, doch in Zeiten von zunehmend fachfremd erteiltem Unterricht muss das stets betont werden – ohne dass deswegen überfachliche Kompetenzen gering geschätzt würden. Doch allenthalben wird beklagt, dass angehende Ethik- und Philosophielehrkräfte nicht über genügend fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Interessanterweise höre ich das in meiner über 15-jährigen Tätigkeit in der Lehrkräfteausbildung nicht nur von Fachseminarleitungen, sondern immer wieder auch von den angehenden Lehrkräften selbst. Sie fühlen sich auch inhaltlich beim Berufseinstieg oft überfordert. Im Referendariat lässt sich das angesichts der Anforderungen des „Praxisschocks“ nur schwer nachholen. Doch was kann die fachphilosophische Bildung an der Hochschule diesbezüglich leisten? Und was nicht? In Bezug auf verschiedene Aspekte möchte ich dazu einige Überlegungen anstellen.
Überblickswissen
In einer (nicht repräsentativen) Umfrage unter Lehramtsanwärter:innen im Referendariat wurde häufig beklagt, dass ihnen Überblickswissen fehle. Im Rückblick auf das Studium wurden Überblicksveranstaltungen gelobt und Tutorien, in denen Grundlagentexte gelesen wurden. Andererseits wurde angemerkt, dass dies oft Veranstaltungen waren, in denen es keine Prüfungsformate gab – was offenbar dazu führte, dass es möglich war, das Studium zu beenden, ohne Fachwissen in schulrelevanten Themengebieten zu erlangen und nachzuweisen.
Nun ist es im Fach Philosophie, das liegt in der Natur der Sache, besonders schwierig, kanonisiertes Überblickswissen zu vermitteln – zu vielfältig sind die Inhalte der Lehrpläne, zu wenig kanonisiert die Literatur in der Fachwissenschaft selbst. In Fächern wie Mathematik ist es dagegen problemlos möglich, den kompletten Schulstoff in wenigen Semestern im Studium zu vermitteln und zu vertiefen. Was also tun? Vollständigkeit ist nicht zu erreichen …
Ich denke, dass Lehramtsstudierende (und vielleicht nicht nur sie) exemplarisch philosophische Grund-Probleme, ihre Genese und den dazu geführten fachphilosophischen Diskurs in Geschichte und Gegenwart kennen lernen und dazu befähigt werden sollten, sich schnell in solchen Problemkontexten orientieren zu können. Vielleicht kann dies sogar exemplarisch im Studium geübt werden. Eine Orientierung an Fragestellungen und Problemen und weniger an Themen oder Autor:innen kann ebenfalls helfen. In der Schule sind in aller Regel nicht Themen und Autor:innen, sondern philosophische Fragen und Probleme Ausgangspunkt des Philosophierens.
Fachmethoden
Natürlich sind Fachwissen und Fachmethoden nicht voneinander zu trennen, gleichwohl lohnt ein gesonderter Blick auf das, was Philosoph:innen eigentlich tun, wenn sie fachlich versiert philosophieren. Lehramtsanwärter:innen nennen hier in der Regel die Analyse philosophischer Texte und das Argumentieren und beklagen, dass ihnen „detailliertes Arbeiten“ im Studium gefehlt habe. Nach meiner Beobachtung herrschen hier Defizite, die von den angehenden Lehrkräften selbst häufig gar nicht in relevantem Ausmaß bemerkt werden. Fragt man sie beispielsweise, was genau ein Argument ist, erhält man verschiedene und unpräzise Antworten. Das ist besonders fatal, da sich auch in Schulbüchern unklare Vorstellungen finden, die in gelungenem Unterricht der Präzisierung oder sogar der Korrektur bedürfen (Materialien, die insbesondere das Argumentieren systematisch einführen, trainieren und reflektieren finden sich z.B. hier).
In der Ausbildung der zweiten Phase wird in hospitierten Unterrichtsstunden schwerpunktmäßig auf Progression geachtet. Wie kommen die Schüler:innen in einer gelungenen Unterrichtsstunde in der Sache weiter? Es ist aus gutem Grund wichtig, dass Schüler:innen diese Progression selbst erleben, weil sonst Philosophie als „Laberfach“ eine unrühmliche Stellung bekommt. Wenn angehende Lehrkräfte fachmethodisch nicht versiert sind, gerät Philosophieunterricht leicht zu einem bloßen Austausch von Befindlichkeiten oder (schlimmer noch) zu einem Aneignen der Position der Lehrkraft oder auch zu einer selbstzweckhaften Lektüre philosophischer Texte. Damit angehende Lehrkräfte Unterricht planen und durchführen können, der den Lernenden echten inhaltlichen Fortschritt bringt, müssen sie selbst wissen (und erfahren haben), wie philosophischer Fortschritt entstehen kann.
Hochschulabschluss als Qualitätssiegel
Zwar ist die Durchfallquote im Referendariat insgesamt nicht besonders hoch, doch führen immer wieder auch fachliche Defizite zu einem Nichtbestehen der Examensprüfung. Hier ist zu fragen, inwiefern ein Hochschulabschluss nicht auch ein Mindestmaß an fachlicher Kompetenz attestieren sollte und wie das gelingen kann angesichts grundsätzlich wünschenswerter Wahlmöglichkeiten im Studium.
Begeisterung
Das klingt bisher nach vielfältigen Anforderungen und dennoch (oder auch gerade deswegen) ist es wichtig, bei Studierenden die Begeisterung für das Fach zu erhalten oder auch erst zu wecken. Wer grundsätzlich keine Freude an der Lektüre philosophischer Texte und an der Erweiterung ihrer inneren philosophischen Landkarte über das Schulbuch hinaus hat, wird es in der Praxis schwer haben, eine gute Philosophielehrkraft zu werden. Die Freude am Durchdenken philosophischer Probleme und Fragestellungen bei Schüler:innen zu wecken (z.B. durch Gedankenexperimente, Fallbeispiele, philosophische Rätsel, kognitive Dissonanzen u.v.m.), ist zentrale Aufgabe der Lehrkraft. Doch wer diese Freude, die Neugier nicht selbst empfindet, kann sie auch schwer wecken.
Fach, Didaktik, Schulpraxis
In der Umfrage beklagen Lehramtsanwärter:innen mehrfach, dass ihnen im Studium die Möglichkeit fehlte, gelernte Inhalte mit Fachdidaktik und ihren Praktika zu verbinden. Nachhaltiges Lernen und Didaktisierung fachlicher Inhalte gelingen sicher besser, wenn (nicht immer, aber doch immer wieder) an fachwissenschaftliche Veranstaltungen didaktische Veranstaltungen angebunden werden, wie es ja an verschiedenen Universitäten auch schon geschieht – idealerweise sogar in Vorbereitung auf Praktika und/oder Praxissemester.
Lebenslanges Lernen
Eine fachwissenschaftliche Bildung, die alle möglichen schulischen Inhalte umfasst, ist in einem fünfjährigen Studium nicht zu erreichen. Auch verändern sich der philosophische Diskurs und die schulpraktischen Anforderungen im Berufsleben einer Lehrkraft. Lebenslanges Lernen ist daher erforderlich. Auch dafür kann die universitäre Philosophie einiges tun!
Lehrkräfte müssen philosophische Universal(halb)gelehrte sein, universitäre Philosoph:innen sind dagegen auf ihren Gebieten Expert:innen. In dieser Rolle können sie nicht nur für angehende, sondern auch für mehr oder weniger erfahrene Lehrkräfte bereichernd sein, wenn sie beispielsweise Fortbildungsveranstaltungen anbieten, bestenfalls in Verbindung mit fachdidaktischer Expertise und Schulpraxis (z.B. an Fachtagen). Oder aber indem sie sich an der Erstellung von Unterrichtsmaterial (z.B. in Form von Schulbüchern oder auch bei philovernetzt.de) beteiligen oder an der Entwicklung von Curricula mitwirken. Bei erfahrenen Lehrkräften liegt das Studium meist eine Weile zurück und wenn es um aktuelle Diskurse, um Kanonerweiterung o.Ä. geht, sind sie auf Expertise aus der Fachwissenschaft angewiesen. Schließlich können Fachphilosoph:innen auch Schulunterricht direkt bereichern, indem sie etwa geeignete Lehrveranstaltungen für Schüler:innen öffnen, selbst als Expert:innen in die Schulen gehen oder Formate öffentlicher Philosophie entwickeln, die sich (auch) an Schüler:innen wenden (wie z.B. ask your philosopher an der Humboldt-Universität zu Berlin). Ich habe damit stets gute Erfahrungen gemacht und bin gleichzeitig auch als Lehrkraft oft inhaltlich angeregt aus diesen Veranstaltungen gegangen.
Die diskutierten Aspekte erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und natürlich kenne ich die Praxis an den meisten Hochschulen nicht – vieles von dem, auf das ich hier eingegangen bin, passiert bestimmt schon am einen oder anderen Ort. Ich habe versucht, den Blick aus der schulischen Praxis einer Lehrkraft und eines langjährigen Ausbilders zu verdeutlichen – vielleicht ist der eine oder andere Aspekt ja für die universitäre Lehre anregend.
Zur Person
Henning Franzen unterrichtet Ethik, Philosophie und Mathematik am Humboldt-Gymnasium in Berlin. Außerdem ist er Fachseminarleiter für Ethik/Philosophie am Schulpraktischen Seminar Berlin-Reinickendorf und Fachberater für diese Fächer an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er veröffentlicht regelmäßig Schulbücher und andere Lehrmaterialien für den Ethik- und Philosophieunterricht.
Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.
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