VON ANNA WELPINGHUS (BIELEFELD)
An Philosoph*innen wird – vielleicht mehr als an die Vertreter*innen anderer wissenschaftlicher Disziplinen – der Anspruch herangetragen, sie mögen sich zu gesellschaftlichen Debatten und zu großen Fragen des Lebens äußern. Umso enttäuschender kann es sein, wenn die Philosophie an Universitäten vor allem darin besteht, dass Forschende hochspezialisierte fachliche Diskurse führen, die für Laien unverständlich sind.
Akademisch arbeitende Philosoph*innen hingegen sind eher enttäuscht, wenn das Philosophieverständnis der breiten Öffentlichkeit wenig mit den eigenen Methoden und Inhalten zu tun hat. Das zeigt allerdings auch, dass das Interesse daran, Einsichten aus der Disziplin in die Öffentlichkeit zu tragen, durchaus vorhanden ist. Und das passiert bereits: (Auch) Wissenschaftlich tätige Philosoph*innen äußern sich heutzutage in einer Vielzahl an Medien, von klassischen Kanälen wie Zeitungen, Radio oder Fernsehen über Blogs und Podcasts bis hin zu Plattformen der sozialen Medien.
In der Fachcommunity gibt es Bestrebungen, öffentliche Philosophie zu stärken – davon zeugen etwa das Kongressthema der Gesellschaft für Analytische Philosophie 2022 in Berlin und das seit 2021 existierende “Schaufenster für öffentliche Philosophie” PhilPublica. Diese Entwicklung wirft die Fragen auf, was genau die Philosophie eigentlich zu gesellschaftlichen Debatten beizutragen hat und wie sich öffentliche zu akademischer Philosophie verhält. Dies ist selbst ein philosophisches Thema, zu dem die Auseinandersetzung erst begonnen hat.
Für Studierende ist öffentliche Philosophie noch aus einem anderen Grund relevant: Das Schreiben für unterschiedliche Zielgruppen stellt eine berufsfeldbezogene Kompetenz dar. Von Wissenschaftler*innen wird „Outreach“ zunehmend erwartet, aber auch in vielen Berufen für Geisteswissenschaftler*innen außerhalb der Wissenschaft spielt das Verfassen überzeugender Texte eine zentrale Rolle. Der Journalismus selbst ist nur einer davon.
Im Wintersemester 2022/23 habe ich an der Universität Bielefeld ein Seminar mit dem Titel „Öffentliche Philosophie und Schreiben für die Öffentlichkeit“ angeboten. Teilgenommen haben Studierende aus dem fachwissenschaftlichen Masterstudiengang und diversen Bachelorstudiengängen der Philosophie sowie aus dem Master of Education. Unterstützt wurde das Seminar von dem Projekt BiLinked, gefördert von der Stiftung für Innovationen in der Hochschullehre, und der in diesem Projekt angesiedelten Community of Practice (CoP) Public Humanities. Ziel der CoP ist es, Studierende sowohl in die Analyse digitaler Medien als auch in die Praxis ihrer Erstellung einzuführen, um so berufsfeldbezogene Kompetenzen zu stärken.
In diesem Seminar standen (digital veröffentlichte) schriftliche Beiträge der öffentlichen Philosophie im Mittelpunkt. In den ersten Wochen ging es darum, öffentliche Philosophie kennen zu lernen und zu reflektieren. Hierzu haben wir Beiträge von Philosoph*innen in den Medien untersucht sowie ausgehend von akademischen Texten die Natur und Funktion von öffentlicher Philosophie diskutiert: Geht es darum, Wissen zu teilen? Oder darum, zu kontroversen Themen Stellung zu beziehen? Und wofür genau sind Philosoph*innen eigentlich Expert*innen?
Als Highlight hielt Eva Weber-Guskar, Professorin für Ethik und Philosophie der Emotionen an der Ruhr-Universität Bochum, einen Gastvortrag. Sie konnte aus ihrer Arbeit als Mitglied der Steuerungsgruppe von PhilPublica und besonders aus ihrer jahrelangen journalistischen Tätigkeit berichten. Das gab den Studierenden die Gelegenheit, sich mit einer auf dem Gebiet erfahrenen Person auszutauschen.
Zusätzlich zum eher konventionellen Teil des Seminars, in dem wir Texte gelesen und über diese gesprochen haben, haben die Teilnehmenden als Studienleistung selbst einen Beitrag in öffentlicher Philosophie verfasst. Dieser konnte dann auf der Webpräsenz der CoP Public Humanities veröffentlicht werden. Fast alle, die einen eigenen Beitrag fertig gestellt haben, nutzten diese Gelegenheit. Die Studierenden sollten jeweils zu einem Thema schreiben, zu dem sie sich bereits auskannten – etwa, weil sie bereits eine Hausarbeit dazu geschrieben hatten. Der Fokus lag also weniger auf der Erarbeitung der Inhalte als auf deren angemessener Präsentation.
Dazu reichten die Studierenden eine fünfteilige Studienleistung ein: Innerhalb der ersten Wochen recherchierten sie Beispiele für öffentliche Philosophie zu ihrem Thema und analysierten anhand eines Arbeitsblatts, wie das Thema dort vermittelt wird. Im Dezember reichten alle ein Arbeitsblatt zur Vorbereitung des eigenen Beitrags ein, in dem sie ihr Thema und die geplante journalistische Darstellungsform des Beitrags angaben, etwa ob es ein Kommentar, ein Forschungsbericht oder eine Buchrezension werden sollte. Sie beantworteten auch ein paar Fragen zu den zentralen Quellen und Inhalten des geplanten Beitrags und konnten Unterstützungsbedarf angeben. Auf dieser Grundlage erhielten sie eine Rückmeldung von mir zu ihrem Vorhaben.
Im Januar wurde dann ein vollständiger Entwurf des Beitrags eingereicht. Dazu erhielten die Studierenden Feedback von mir und voneinander. Peer Feedback anhand eines Leitfadens zu geben, war ein weiterer Teil der Studienleistung. Schließlich stellten die Studierenden zum Ende des Semesters den vollständigen Beitrag einschließlich eines Vorschlags für ein Beitragsbild fertig. Der Beitrag sollte den Redaktionsrichtlinien entsprechen, die wir in den vorherigen Sitzungen abgestimmt hatten.
Nach einem redaktionellen Prozess mit letzten Abstimmungen konnten wir die Beiträge bereits im Februar veröffentlichen. Hilfreich war dabei nicht nur, dass die CoP dem Projekt Platz auf ihrer Webpräsenz eingeräumt hat, sondern auch die Unterstützung der dort angestellten Hilfskräfte Clemens Litfin und Alexander Hallbauer.
Einige Studierende berichteten, dass die Möglichkeit zur Veröffentlichung sie motiviert habe, einen wirklich guten Beitrag zu erstellen – ein Eindruck, den ich teile. So konnten wir einige informative und (sehr) gut geschriebene Texte veröffentlichen.
Im Studium werden zwar häufig schriftliche Arbeiten verlangt, aber diese durchlaufen so gut wie nie einen redaktionellen Prozess bis zur Veröffentlichung. Hier konnten die Studierenden einmal erleben, was dazu gehört. Zudem habe ich zu Beginn der Praxisphase in die Grundlagen journalistischen Schreibens eingeführt. Wir haben etwa für die Philosophie bedeutsame journalistische Darstellungsformen besprochen. Außerdem haben wir behandelt, was typische Elemente schriftlicher Online-Publikationen sind (etwa Bilder, Bildunterschriften und Alt-Texte), und die Beiträge mit solchen Elementen versehen. Außerdem ging es noch einmal grundlegend um klares, verständliches Schreiben – ein Thema, das nach der Studieneingangsphase selten explizit gelehrt wird.
Für mich und die Studierenden stellte das Seminar eine willkommene Abwechslung zu konventionellen Seminaren dar. Ich bewerte das Vorhaben somit als durchaus geglückt.
Abschließen möchte ich mit einigen Bemerkungen zu den Grenzen und Schwierigkeiten des Formats: Zuerst einmal ist das Format mit einem relativ hohen Aufwand für die Lehrperson verbunden, da sie auch als Redaktionsleitung fungieren muss. Da ich etwa ein Dutzend kurzer Beiträge zu betreuen hatte, konnte ich das gut leisten. Mit deutlich mehr Teilnehmenden müssen sich Lehrende auf ein erhöhtes Arbeitspensum einstellen.
Ein weiteres Thema, das es zu beachten gilt, ist die Wahl der Veröffentlichungsplattform. Es scheint mir sinnvoll, zu eruieren, ob die Universität das Projekt hosten kann, so wie wir es gemacht haben. Andere Möglichkeiten, aber auch Grenzen, würde eine Kooperation mit einem existierenden Blog bieten. Bei Veröffentlichungen sind immer auch rechtliche Aspekte zu bedenken: Die Verfasser*innen der Beiträge haben in unserem Projekt eine vom Justitiariat verfasste mehrseitige Einverständniserklärung unterschrieben.
Ich habe das Thema, über das geschrieben werden konnte, sowie die untersuchten Beiträge aus der öffentlichen Philosophie bewusst offen gelassen. Die Idee dahinter war, dass jede Person zu einem Thema schreibt, in dem sie sich bereits auskennt. So wollte ich den Fokus auf die Vermittlung der Inhalte legen, nicht auf die Inhalte selbst. Das ist nur teilweise geglückt. Letztlich waren nicht alle Teilnehmenden sicher genug in ihrem Fachwissen und einige sind meinem Rat nicht gefolgt, sich ein Thema zu suchen, zu dem sie bereits gearbeitet haben. Außerdem blieb bei diesem Zuschnitt der Austausch über die jeweiligen Inhalte der studentischen Beiträge auf der Strecke.
Der hier vorgestellte Zuschnitt funktioniert also nur für fortgeschrittene Studierende und dann auch nicht perfekt. Es ist deshalb zu überlegen, ein gemeinsames Oberthema für die zu schreibenden Beiträge vorzugeben. Dazu könnten dann wissenschaftliche Texte sowie Medienbeiträge im Seminar behandelt werden. Die zeitlichen Ressourcen dafür sind allerdings begrenzt; eine vertiefte Einarbeitung kann nicht stattfinden, wenn auch noch in die Theorie und Praxis des Schreibens für die Öffentlichkeit eingeführt werden soll.
Die perfekte Lösung für diese Herausforderung des Lehrvorhabens habe ich also noch nicht gefunden. Das schmälert jedoch nicht die erwähnten Vorteile davon, Schreiben für die Öffentlichkeit im Philosophiestudium zu lehren. Interessierten Lehrenden kann ich nur empfehlen, Varianten des hier vorgestellten Formats auszuprobieren. Gern gebe ich im persönlichen Kontakt weiterführende Informationen, teile Erfahrungen oder nehme Anregungen entgegen.
Zur Person
Anna Welpinghus unterrichtet Philosophie an der Universität Bielefeld und übernimmt dort Aufgaben in der Studiengangsentwicklung. Nach einer Promotion und einem Post-Doc Projekt in der Philosophie des Geistes interessiert sie sich heute für verschiedene Themen der angewandten Philosophie. Sie treibt um, welche Rolle Philosophie außerhalb der Universität spielen kann und soll.
Lizenz
Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.
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