VON ALMUT KRISTINE V. WEDELSTAEDT (BIELEFELD)
Wie will ich als Lehrende sein? Wie will ich mich als Lehrende im Verhältnis zu Studierenden verstehen? Was gehört für mich zur Lehrendenrolle? Das sind scheinbar sehr simple Fragen, aber mir war tatsächlich lange gar nicht klar, dass man diese Fragen stellen kann. Ich hatte im Kopf, dass Lehrende an der Uni zu sein eine bestimmte Rolle ist und ich nur noch herausbekommen muss, wie genau die funktioniert. Für mich gab es nur die Frage, wie man als Lehrende sein sollte.
Als mir aber dann im Rahmen einer hochschuldidaktischen Weiterbildung erst die eingangs genannten Fragen gestellt wurden und dann auch noch eine ganze Auswahl an möglichen Rollenverständnissen angeboten wurde, hatte ich den Eindruck, als Lehrende einen echten Schritt nach vorne zu machen. Für Menschen mit einem fachdidaktischen Hintergrund ist das vermutlich ein sehr alter Hut. Aber für mich war es neu, dass Lehrende zu sein nicht schon dasselbe ist wie eine Rolle zu haben, von der klar ist, wie man sie auszufüllen hat, sondern dass man diese Rolle verschieden verstehen kann. Das hat mir geholfen, klarer zu sehen, wie ich mich selbst als Lehrende sehe und sehen will und wie ich das Verhältnis zu Studierenden gestalten möchte, kurz: was es für mich heißt, gute Lehre in der Philosophie zu geben. Seitdem hadere ich deutlich weniger damit, die ganz verschiedenen Erwartungen, die man an Lehrende haben kann, unter einen Hut zu bekommen.
Ich möchte im Folgenden nicht darlegen, wie genau ich meine Rolle verstehe – auch wenn ich natürlich glaube, dass es sehr gute Gründe gibt, die Rolle genauso aufzufassen, wie ich das tue. Aber diese Gründe sind zum Teil nur Gründe für mich, weil mir ganz bestimmte Dinge liegen und wichtig sind. Anderen Lehrenden liegen andere Dinge und ihnen ist anderes wichtig, entsprechend verstehen sie ihre Rolle anders. Dass es diese Vielfalt an Hochschulen gibt, ist in meinen Augen wertvoll, weil auch Studierende ja verschieden sind und so – innerhalb eines gewissen Rahmens – wählen können, was jeweils zu ihnen passt oder was sie mögen.
Stattdessen geht es mir hier darum, dass Klarheit darüber, wie man sich selbst als Lehrende versteht und verstehen will, das Lehren leichter und möglicherweise auch besser machen kann. Es kann helfen, klare Schwerpunkte zu setzen und Entscheidungen zu treffen. Deshalb steht dieser Beitrag in der Kategorie “Lifehack Lehre”. Es ist für mich seit dieser Rollenreflexion z.B. sehr viel klarer, wo ich meine Verantwortung sehe und wo die der Studierenden. Es fällt mir seitdem auch leichter zu formulieren, was ich von Studierenden erwarte und was sie von mir erwarten können – und auch, was nicht.
Aber zur Sache: Welche Rollen kommen infrage?
- Lerncoach
- Erzieher*in
- Wissensspeicher
- Elternteil
- Diktator*in
- Oberlehrer*in
- Berater*in
- Kumpel
- Gutachter*in/Prüfer*in
- Wertevermittler*in
- Führungskraft
- Partner*in
- Kolleg*in
- Dienstleister*in
- Moderator*in
- Motivator*in
- Forschende*r
- Lernende*r
- Konfliktmanager*in
Die Liste ist sicher keine abgeschlossene, sondern lässt sich fortsetzen. Aber all das sind Optionen, die undefinierte Rolle der Lehrperson an einer Uni genauer zu fassen.
Sich Gedanken darüber zu machen, wie man die Rolle der Lehrperson fassen will, heißt keinesfalls, dass man sich für genau eine und nur eine dieser Rollen entscheiden muss. Man kann im Gegenteil sehr gut Anteile verschiedener Rollen nehmen und daraus seine eigene Rolle machen. Auch dieser Vorgang trägt dazu bei, sich selbst klarer darüber zu werden, wie man die eigene Lehre gestalten möchte. Ich z.B. sehe bei mir ganz wenige Anteile einer Erzieherin, das geht für mein Verständnis von philosophischer Hochschullehre eher gegen null. Aber ich bin natürlich unter anderem Gutachterin bzw. Prüferin für Studierende und im Seminar immer wieder auch Moderatorin. Keine dieser beiden Rollen ist jedoch erschöpfend für das Verständnis meiner selbst in der Lehrendenrolle. Dabei ist mir viel eher die Rolle der Kollegin wichtig, wenn auch nicht ausschließlich. Aber das ist eben erst einmal mein Verständnis.
Das ist keineswegs ein Plädoyer für grenzenlosen Individualismus. Es gibt äußere Gegebenheiten, die man in die Rollenklärung einbeziehen muss. Für mein Verständnis von Lehre wäre es beispielsweise manchmal hilfreich, wenn ich nicht auch Prüferin der Studierenden sein müsste. Ich bin es aber für die Studierenden und ich vermute, dass dieses Verständnis der Lehrendenrolle für viele Studierende zentral ist. Auch rechtlich werde ich als Lehrende oft als Prüfende gesehen. Deshalb kann und darf ich diese Tatsache in meinem Rollenverständnis nicht ausblenden, sondern muss ihr Rechnung tragen, z.B. indem ich sehr transparent mache, was in Bewertungen einfließt und was nicht, welche Kriterien ich bei Prüfungen anlege usw. Solche Dinge gehören zum Rahmen, innerhalb dessen man die eigene Rolle gestalten kann.
Zum Rahmen gehört in meinen Augen wesentlich auch das Anerkennen einer Asymmetrie in der Beziehung von Lehrenden und Studierenden. Es gibt Rollenverständnisse, gerade in der Philosophie, die es nahelegen, diese Asymmetrie nicht zu sehen. Im Seminar sind wir alle Lernende und Forschende, wir arbeiten gemeinsam daran, in philosophischen Fragen weiterzukommen usw. Vermutlich kennen wir alle diese und ähnliche Beschreibungen dessen, was philosophische Lehre an Hochschulen ausmacht. Diese haben auch einen sehr berechtigten Kern – meinem Eindruck nach sind Seminare zum einen besser, wenn es gelingt, in ihnen mit allen Beteiligten gemeinsam an philosophischen Fragen zu arbeiten. Zum anderen ist es mir wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass Studierende mit zunehmendem Studienfortschritt immer mehr, aber schon von Beginn an, selbst Verantwortung für ihr Lernen tragen.
Darüber darf man aber nicht vergessen, dass Lehrende Studierenden gegenüber in einer ausgezeichneten Position sind. Lehrende sind in der Regel weiter als Studierende. Sie haben normalerweise einen fachlichen Vorsprung, weil sie mehr wissen und können als Studierende. Schon dieser Unterschied kann dazu führen, dass die Idee einer Diskussion im Seminar, bei der alle gleich sind, verzerrt erscheint. Es liegt in der Verantwortung der Lehrenden, ihren Vorsprung so zu nutzen und Lehre so zu gestalten, dass damit ein Fortschritt für die Beteiligten möglich wird.
Die ausgezeichnete Position besteht aber auch darin, dass Lehrende einen Teil der Regeln machen, innerhalb derer Studierende sich bewegen. Sie bewerten und prüfen, sie entscheiden mit über Erfolg und Misserfolg. Das heißt, dass sie Macht über Studierende besitzen. Und dieser Macht müssen sie sich bewusst sein, damit sie sie verantwortungsbewusst einsetzen, ohne Studierenden zu schaden. Das heißt nicht, dass man Studierenden nicht beispielsweise anbieten kann, mal gemeinsam in die Mensa oder abends in die Kneipe zu gehen. Aber man sollte dann darauf achten, dass solche Angebote offen sind und nicht nur Einzelnen zugute kommen. Und wenn sie doch Einzelnen zugute kommen, weil das eine Möglichkeit individueller Förderung ist, dann sollte man darauf achten, dass die Auswahlkriterien der Einzelnen gut begründet sind.
Links
Didaktikblog der Uni Hohenheim zu Rollenverständnissen von Lehrpersonen
Zur Person
Almut Kristine von Wedelstaedt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung Philosophie der Universität Bielefeld. Dort ist sie zuständig u.a. für Studienorganisation, Studiengangsentwicklung und Geschäftsführung der Abteilung. Philosophisch arbeitet sie im Bereich der Praktischen Philosophie, momentan meist zu Fragen der Sexualphilosophie. Sie ist Mitbegründerin und Redaktionsmitglied bei LehrGut.org.
Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.
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